Copy of «Wir wussten schnell, was ‹Chrampfen› heisst» Stevens Senn ist Geschäftsführer der Pure Holding AG in Zeiningen

Er kannte viele Teile der Schweiz, aber Zeiningen und das Fricktal lernte Stevens Senn erst vor fünf Jahren kennen. Heute leitet der Wahl-Aargauer hier ein Unternehmen mit weltweiter Ausstrahlung.

Janine Tschopp

ZEININGEN. Es war am 10. Dezember 2016, als Stevens Senn die ehemalige Gärtnerei in Zeiningen erstmals sah. Während zwei Stunden schaute er sie sich an. Anschliessend ging er nach Hause und schrieb die Pläne für die Firma, die er schon ziemlich genau im Kopf hatte, nieder. Im darauffolgenden Jahr eröffnete er einen Hanf-Erlebnishof auf 23 000 Quadratmetern. «Es war ein Ort der Begegnung. Jährlich besuchten uns rund 15 000 Menschen», blickt Senn zurück. Der Erlebnishof mit Labyrinth, Grillzone und Relaxzone sei damals sehr entscheidend gewesen für die «Aufklärungsarbeit». Man wollte der Bevölkerung zeigen, dass Hanf nicht automatisch mit Rauschmitteln zu tun hatte oder illegal war. Die Hanfpflanzen zeichneten sich durch einen hohen Cannabidiol- Anteil (CBD) und einen THC-Gehalt unter einem Prozent aus. Rund 60 Prozent der Blütenproduktion wurde damals als Rohstoff in die Pharmaindustrie geliefert. 40 Prozent wurden zu Eigenprodukten wie Tabakersatz, Hanf-Eistee, Hanf-Bier oder Hanf-Würsten verarbeitet.

Mittlerweile ist aus dem Hanf- Erlebnishof ein weltweit bedeutendes Forschungszentrum für molekulare Cannabis-Pflanzenzucht geworden. «Aus unternehmerischer Sicht ist das mein bisher grösster Erfolg», sagt Stevens Senn. Er erzählt, wie faszinierend es für ihn sei, mit hochkarätigen Wissenschaftlern zusammenzuarbeiten, von ihnen tagtäglich zu lernen und gemeinsam mit ihnen und seinem ganzen Team die Firma weiterzuentwickeln. «Bei uns arbeiten Koryphäen aus der molekularen Pflanzenzucht. Wir sind nun in der Lage, die DNA der Cannabis-Pflanze zu lesen», sagt er voller Begeisterung und ergänzt: «Dass ich irgendwann so etwas aufbauen kann, hätte ich nie gedacht.»

Geschäftssinn schon früh entwickelt

Stevens Senn ist in einer Zürcher Schausteller-Familie aufgewachsen. «Meine Klassenkameraden wohnten in einer Wohnung oder in einem Haus, wir in einem Wohnwagen. Für mich war das ganz normal, so aufzuwachsen.» Da seine Eltern tagsüber an verschiedenen Orten der Schweiz «auf der Chilbi» waren, lernte er schnell, selbständig zu sein. Schon bald packte er selber an und wurde vollkommen ins Geschäft integriert. «Wir wussten schnell, was ‹Chrampfen› heisst.» Stevens Senn lernte bereits als kleiner Bub, dass das Geld nicht vom Himmel fällt, sondern dass man etwas dafür tun muss. Als Zwölfjähriger hatte er seine erste Zuckerwatten-Maschine. Er überlege sich dann, dass er mehr Zuckerwatte verkaufen könnte, wenn diese farbig wäre. Also kaufte er blaue und grüne Lebensmittelfarbe in der Drogerie. Tatsächlich: In Farbe lief die Zuckerwatte noch viel besser und er verkaufte das Doppelte. Schon als Bub lernte er Mechanismen kennen, wie ein Geschäft funktioniert und wie nicht.

Er wollte Schausteller werden

Für Stevens Senn war immer klar, dass er später, wie seine Eltern, auch Schausteller werden will. Er entschloss sich für eine Lehre als Fahrzeug-Konstruktionsschlosser. «Ein Beruf, der für die ‹Chilbi› nützlich ist.» Dann stürzte er sich ins Leben eines Schaustellers, noch bevor er seine Lehre abgeschlossen hatte. Schon bald besass er eigene Bahnen und reiste damit um die halbe Welt. «Im Winter machte ich ‹Chilbi› in Dubai.» So waren es jährlich gegen 25 Orte, wo er seine Bahnen platzierte und damit den Lebensunterhalt bestritt. «Irgendwann machte mir die ‹Chilbi› keine Freude mehr.» Damals war er 24-jährig. «Ich hatte immer den Mut, das zu tun, was mir Freude machte», erzählt Stevens Senn von einem grossen Luxus seines bisherigen Lebens.

Was er als schon als Bub in der «Chilbi-Blase», wie Stevens Senn es nennt, gelernt hatte, wandte er später in der Privatwirtschaft an. So entwickelte er beispielsweise das Geschäft eines Freundes, der einen Laden für Cannabis-Zubehör (Lampen, Erde, Dünger) führte. Stevens Senn interessierte sich nicht nur dafür, was in der eigenen Strasse passierte, sondern auch für Trends oder Start-ups weltweit. Durch Literatur und Reisen hielt er sich stets auf dem Laufenden. Von einer Amerika-Reise nahm er zwei Geschäftsideen in die Schweiz: CBD-Produkte und 3D-Drucker. Er wusste, dass die Zeit für CBD-Produkte in der Schweiz noch nicht reif war, also konzentrierte er sich vorerst auf 3D-Drucker. Vor acht Jahren gründete er ein Start-up-Unternehmen und begann, die Idee aus Amerika, Menschen als kleine Figuren dreidimensional zu verewigen, in der Schweiz umzusetzen. Er entwickelte eine Shotbox, wo rundherum 64 Kameras gleichzeitig klickten. «Damit das Modell nicht so lange in der gleichen Position verharren musste.» Die Boxen wurden weltweit verkauft. Den Verkauf der 3D-Drucker gleiste Stevens Senn national mit der Post auf.
Als die Zeit reif war, verkaufte er das erfolgreiche Unternehmen, kam ins Fricktal und begann in CBD- Produkte zu investieren.

Mit offenen Armen empfangen

«Von Anfang an wurde ich im Fricktal ganz toll empfangen und unterstützt», sagt Stevens Senn. «Das ist nicht selbstverständlich, wenn da einfach ein ‹Züri Schnorri› kommt und Cannabis nach Zeiningen bringt», ergänzt er schmunzelnd. Privat hat sich der 39-Jährige in Frick niedergelassen und fühlt sich im Fricktal sehr wohl. «Diese Ecke der Schweiz habe ich vorher noch nicht gekannt. Die Menschen und die Atmosphäre gefallen mir sehr gut. Ich fühle mich herzlich aufgenommen.» Hat der Mann, der bisher in seinem Leben schon sehr viel erreicht hat, noch Visionen? «Mit unserer Grundlagenforschung wollen wir es schaffen, mit der Cannabis-Pflanze und ihren Eigenschaften nachhaltig die Welt zu verändern.»